Goldiges FaktenLeck 2017

Die närrische Woche des Neoliberalismus

Aufklärungsarbeit, die wir uns schenken können! Unser Gesprächskreis bedankt sich bei neoliberalen Medien, die uns mit ihrer Recherche narren. Dafür vergeben wir jetzt erstmals den Preis „Goldiges FaktenLeck 2017“. Verdient haben ihn sich die „Faktenfinder“ der „Tagesschau“ beim NDR in Hamburg.

Von Ulrike Sumfleth

Die „Faktenfinder“ erhalten den Preis „Goldenes Faktenleck 2017“ für grob irreführenden Umgang mit einer Fake News. Nachdem sie auf eine Fake News hereinfielen, stellten sie deren Unwahrheitsgehalt nicht richtig. Stattdessen vernebelten sie die Fakten und diffamierten diejenigen,  welche sie auf den Fake-Gehalt hingewiesen hatten – die kritische Internetseite NachDenkSeiten.

Der Fall um das FaktenLeck

Spiegel Online (SPON) veröffentlichte am 16.2.2017 eine Fake News
Unter der Überschrift „Russland attackiert Bundeswehr mit Fake-News-Kampagne“ berichtete Spiegel Online über eine angeblich „konzertierte Desinformationskampagne, die offenbar von Russland gesteuert wurde“. Tatsächlich handelte es sich um eine einzige anonyme E-Mail, die an litauische Parlamentarier und die Polizei gegangen war. In der Mail wurde behauptet, in Litauen stationierte Bundeswehrsoldaten hätten eine junge Frau vergewaltigt.

Kampagne? Eine einzige E-Mail? Die „Tagesschau“ und viele andere Medien verbreiteten die Fake News am 17.2. weiter

Die NachDenkSeiten wiesen am 18.4.2017 auf den Fake-Gehalt hin
http://www.nachdenkseiten.de/Fake-News_im_Quadrat

Die „Faktenfinder“ griffen den Fall auf, jedoch ohne ihn klarzustellen und diffamierten die NachDenkSeiten
Anstatt die Spiegel-Online-Meldung als Fake News zu kennzeichnen, setzte man sich nur wohlwollend mit dem – mittlerweile umgeschriebenen – Spiegel-Artikel auseinander. So hatte der Spiegel umgetextet: „NATO vermutet Russland hinter Fake-News-Kampagne gegen Bundeswehr“. Diese Aussage führte man auf einen Offizier zurück, der nicht namentlich genannt werden sollte.

Ein offizielles NATO-Statement gab es also nicht. Dennoch deckte die Faktenfinder-Redaktion es nicht als grob irreführend auf, dass lediglich ein einziger anonymer Kommentar als Gesamthaltung der NATO dargestellt wurde.

Auch das Fazit des „Faktenfinders“ war grob irreführend:

„Nicht zutreffend ist hingegen der Vorwurf, Spiegel Online habe ,Fake News im Quadrat‘ verbreitet, so wie es die Nachdenkseiten behaupten – und es der ,deutschen Medienlandschaft‘ pauschal unterstellen.“

Zusätzlich stellten die „Faktenfinder“ die NachDenkSeiten als unseriöse Redaktion dar, die angeblich keine Berührungsängste mit rechten Personen, Positionen und Verschwörungstheorien habe.

Dabei ging man manipulativ vor: Man schrieb von Wikipedia aus einer langen Liste positiver Rezensionen diese eine negative Passage ab. Wie zum Beleg setzte man noch ein Statement des Ex-Mitherausgebers Wolfgang Lieb hinzu, in dem dieser über seine Gründe für die Trennung von den NachDenkSeiten sprach – völlig aus dem Zusammenhang gegriffen.

Richtig wäre gewesen:  

  • Spiegel Online hat eine Fake News verbreitet
  • Die „Tagesschau“ hat sie weiterverbreitet
  • Eine parlamentarische Anfrage des Linken-Abgeordneten Andrej Hunko bei der Bundesregierung bringt den wahren Sachverhalt zu Tage
  • Die NachDenkSeiten bezeichnen daraufhin die SPON-Nachricht als „Fake News“
  • Die Faktenfinder klärten den Fake-Gehalt nicht auf, sondern vernebelten den Inhalt und diffamierten die NachDenkSeiten

Fazit

Für so viel närrische Berichterstattung über eine nicht existente russische Kampagne gegen die Bundeswehr und für ihren Umgang mit einer Redaktion, die sie auf den Fake hingewiesen hatte, gebührt den „Faktenfindern“ der Preis „Goldiges FaktenLeck 2017“.

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Warum Faktencheck eine Nebelkerze ist

Schon der Begriff führt in die Irre

Die Bezeichnung „Faktencheck“ ist eine Nebelkerze. Der Begriff sagt nur aus, dass eine Behauptung gecheckt wurde – aber er enthält keinerlei Aussagen darüber, ob weitere wichtige Kriterien journalistischer Qualität ebenfalls erfüllt wurden. Welche Weltanschauung der Berichterstattung zugrunde liegt. Nach welchen Kriterien Informationen ausgewählt wurden. Welche Informationen weggelassen wurden. Faktencheck besagt nur, dass eine Aussage stimmt. Aus welcher Perspektive sie gemacht wurde, ob sie aus dem Zusammenhang gerissen wurde, ob mit ihr Stimmungsmache bezweckt wird, all das spielt keine Rolle. Insofern ist der Begriff irreführend, denn er legt nahe, dass eine umfangreiche Qualitätssicherung stattfindet.

In der Informationsflut klingt Faktencheck nach Orientierungshilfe

Natürlich hat die neue Checkeritis mit der Masse an Informationen zu tun, die im Social-Media-Zeitalter täglich anwächst. Sie macht mehr Überprüfung notwendig. Eine Arbeit, die jeder einzelne bei aller Medienkompetenz nur schwerlich leisten kann. Der zunehmende Bedarf an Klärung ist also real vorhanden.

Der Begriff versteckt, dass es um Deutungshoheit geht

Wer plausibel erklären kann, was angeblich stimmt und was falsch ist, hat größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung. Es geht also auch um Deutungshoheit, um die genehme Perspektive auf die „Realität“ und damit um eine Auswahl tolerierter Wahrheiten. Letztlich geht es um Macht. Auch das versteckt der Begriff im Namen der Wahrheitsliebe.

Der Begriff soll Konkurrenzmedien als unseriös abwerten

Neoliberale Medien, die sich selbst gegenseitig Leitmedien nennen, verlieren seit langem an Auflage, Zuschauern, Einschaltquoten und vor allem an Glaubwürdigkeit. Deshalb haben sie sich Überlebensstrategien zurechtgelegt. Eine lautet, wenn sie lautstark „Fakten checken“ und bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, wieviele „Fake News“ uns in den sozialen Netzwerken bedrohen würden, dann ist das gut für ihr Geschäft. Darum Faktencheck. Fake-News-Jagd nach der Methode „Haltet den Dieb“. Wahrheitspolizei.

Faktenchecken ist ein Geschäft

Mit dem Label kann sich jeder schmücken, denn schützbar ist der Begriff natürlich nicht. Verlage, Agenturen, Fernsehsendungen, Medien aller Art können sich das Etikett umhängen – auch Privatpersonen. Das Wort ist einfach ein guter Verkäufer, denn es suggeriert allgemeine Qualität. Als es noch keine neoliberalismus-kritische Konkurrenz im Internet gab, brauchte es das Label darum nicht. Dass eine seriöse Redaktion Fakten checkt, bevor sie sie veröffentlicht, gehört schließlich seit jeher zum Selbstverständnis. Es ist, als würden Lebensmittelhersteller plötzlich auf ihre Produkte schreiben: Giftfrei!

Fazit:  „Faktencheck“ scheint Manipulation zu entlarven, ist aber selbst ein potenzielles Manipulationsinstrument

Anstatt blind irgendeinem „Faktencheck“ zu vertrauen, sollten wir uns fragen: Was versteckt das Wort Faktencheck? Es verbirgt sehr wichtige Qualitätsfragen: Ist die Berichterstattung überparteilich und unabhängig? Beleuchtet sie Pro und Contra? Versucht sie, ein Thema aus verschiedenen Perspektiven zu sehen? Kommen Gegner und Befürworter gleichermaßen zu Wort? Stammen die Aussagen von Lobbyisten? Werden Aspekte ausgeblendet oder überbetont?

Dass ein Faktum geprüft wird, soll suggerieren, dass es sich um „seriösen Journalismus“ handelt. Dafür gibt es jedoch überhaupt keine Garantie. Jeder Faktencheck kann selbst für manipulative Zwecke eingesetzt werden. Gerade dass er vorgibt, Manipulationen aufdecken zu wollen, macht ihn zu einem potenziellen Instrument der Meinungsmanipulation.

Text: Ulrike Sumfleth
Mitarbeit: Udo Fröhlich
Grafik: Sebastian Fischer
Foto „Tagesschau“-Kulissen: Juliane – Wikimedia Commons

Eine ausführliche Analyse des Falls finden Sie auf der Seite von Norbert Häring: Faktenfinder NachDenkSeiten

Lesen Sie ab 13.11.: Wer den Preis „Goldiger Optimismus 2017“ verdient

Hintergrundartikel:
10 Years After the Crash: Die Papageien des Neoliberalismus

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